Freitag, 22. August 2014

Entscheidungen

Der laue Sommerwind raschelte in den Baumkronen und ließ das Licht in ihren Blättern tanzen. Das grüne Blätterdach leuchtete in der Sonne. Es lag ein Geruch von tausenden Blüten in der Luft, als sie aus dem  Halbschatten der Bäume trat und mit schnellen Schritten zu ihrem üblichen Treffpunkt hinüberging. Ihr blaues Sommerkleid bauschte sich im Wind und ließ einen kurzen Blick auf ihre schlanken Beine zu. In ihrer Hand trug sie eine kleine rote Tasche mit einer silbernen Schnalle, ihr braunes Haar glänzte beinahe golden in der Sonne.

Von seiner Stelle aus konnte er die ganze Wiese überblicken und wie immer wartete er bereits auf sie, blickte ihr ruhig und gelassen entgegen. Sie jedoch, offenbar aufgewühlt von starken Emotionen, rannte beinahe die letzten Meter. Dann blieb sie abrupt vor ihm stehen und warf sich weinend ins Gras. Er ließ sie gewähren und wartete geduldig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

Erst nach einer Weile hob sie den Kopf von den Armen und wischte sich über das tränennasse Gesicht, dann sah sie ihn an. Er sagte nichts, wartete still ab und sie brach erneut in Tränen aus. Diesmal beruhigte sie sich schneller, atmete einmal tief durch und begann zu sprechen.

„Mein Vater hat mir verboten weiter hierher zu kommen. Er sagte, du seist schlecht für mich und hieltest mich davon ab, mich auf meine Zukunft zu konzentrieren.“ Sie sah ihn an, doch er antwortete nicht. „Er will, dass ich Lukas heirate. Du weißt schon, der Sohn vom Bäcker. Kannst du dir das vorstellen?“ Ihr empörter Blick sprach Bände darüber, was sie von diesem Vorschlag ihres Vaters hielt.

Für eine Weile sahen sie stumm in die Ferne, vorbei an Blumen und Gräsern, die sich im Wind wiegten. Bienen summten durch die Luft und Schmetterlinge flogen ihren undurchschaubaren Zick-Zack-Flug von Blüte zu Blüte. Einer ließ sich auf ihm nieder und er hielt ganz still, um ihn nicht zu verscheuchen. Sie sah zu, wie der Schmetterling die Flügel langsam auf und zu klappte um sich in der Wärme der Sonnenstrahlen neue Energie zu holen. Die zarten Schüppchen auf den Flügeln schillerten in allen Farben des Regenbogens, eine Schönheit, die durch eine flüchtige Berührung vollkommen zerstört werden kann. Der Schmetterling hielt noch einen Moment still, dann flog er unvermittelt davon.

Sie sah ihn wieder an und es brach wieder aus ihr heraus. „Ich kann Lukas nicht heiraten! Was soll denn aus uns werden? Du bist doch alles für mich, es gibt niemanden sonst, außer dir!“ Sie vergrub das Gesicht in den Händen, die Tränen blieben diesmal jedoch aus. Leises Schluchzen perlte aus ihrem Innersten wie die Tropfen aus einem undichten Wasserhahn.

Er schwieg weiterhin, wusste er doch, dass er nichts sagen konnte, um sie zu beruhigen. Ihr Vater wollte nur das Beste für sie, das war ihm mehr als klar. Deshalb regte er sich auch nicht über dessen Entscheidung auf. Eine gesicherte Zukunft mit dem Bäckersohn war nicht die schlechteste Wahl, die sie treffen konnte. Sie sah das dagegen völlig anders.

„Ich kann nicht mehr so weitermachen, nicht länger so tun, als wäre nichts gewesen, während du so weit weg von mir bist.“ Sie sprach jetzt ruhig, sah ihn aber dabei nicht an. Ihr blasses Gesicht glänzte von getrockneten Tränen und in ihren Augen spiegelte sich die Sonne.

Ihr leerer Blick schweifte in die Ferne, über die Wiese und die Felder dahinter hinweg. Die Grashalme nickten leicht mit den Köpfen im Wind, als würden sie ihren Entschluss befürworten. Mit einer Hand zog sie ihre Tasche näher an sich und nestelte am Verschluss herum.

Nach einer Weile, zog sie ein Messer aus der Tasche hervor. Er sah sie erstaunt an, war jedoch unfähig sich zu bewegen. Sie blickte wieder zu ihm, sah ihn direkt an und lächelte. Ohne ein weiteres Wort zog sie sich die Klinge über die Unterarme und sofort quoll dickes Blut aus den Schnitten hervor.

„Mehr als das wollte ich nie, weißt du? Ich wollte immer nur bei dir sein!“ Das Blut lief über ihre Arme, durchtränkte langsam ihr Kleid und färbte das Gras unter ihr rostrot. Es floss auf den Boden, in die dunkle Erde und versickerte darin.

Sie sah ihn unentwegt an, anfangs mit festem Blick, doch je mehr Zeit verstrich, desto weicher wurde ihr Blick. Langsam schien sie sich zu entfernen, irgendwohin zu gleiten, wo sie nicht gefunden werden konnte. Während sie sich bequem neben ihn legte, lächelte sie und flüsterte leise „Ich bin gleich bei dir.“ Dann schloss sie die Augen zum letzten Mal.

Die glatte Oberfläche des Grabsteins glänzte ungerührt in der Sonne.

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